#81

Liebe Maike,
you made mein fucking beschissenen Tag mit deinen Worten. Aus voller Inbrunst: Dankeschön. 
Ich komm jetzt mit was völlig anderem. Life in a day! Es jährt sich mal wieder und dabei ist der Film, aus meiner Sicht ein Funken Schönes, in meiner Erinnerung verknüpft mit dem 24. Juli 2020 in Duisburg. Das ist definitiv eine traurige Begebenheit, die mich im Grunde an unserem Rechtssystem zweifeln lässt. Ich schreibe und mir kommen die Tränen, zu sehr spüre ich gerade die, ich weiß gar nicht wie ich´s beschreiben soll: Atmosphäre, Stimmung, dieses nicht greifen können, was gerade passiert ist, die Sorge um meine Schwester, die nicht erreichbar war, die Aggressivität und das gleichzeitige dann doch einfach weitermachen. Das Verfahren ist eingestellt. Wäre in diesem Jahr ohnehin verjährt. Traurig, dass den Angehörigen, den Familien und Freunden, wie ich finde, ein Funken Gerechtigkeit verwehrt wird. In Gedanken bin ich bei den Opfern des Loveparade Unglücks, ihren Hinterbliebenen und Freunden. Herzliche Anteilnahme.
P.S. Filmst du ?

#82

Hallo liebe Melanie,

ich kann mich noch sehr gut an die angespannte Stimmung auf dem Weg zum Gelände erinnern. Die Luft war wie zum Schneiden. Und als wir dann entschieden hatten, lieber in die City zu gehen, als uns in das Gedrängel zu begeben und dort die Nachrichten mit den immer neuen Todeszahlen durchkamen, während die Leute am Saufen und Feiern waren, das hat mich auch nachhaltig verstört. Ich habe gestern nicht gefilmt. Ich habs nicht voreinander bekommen. Mein Leben hat gerade den inneren Stempel "uninteressant bis zur Bedeutungslosigkeit" und das habe ich mich nicht getraut auf die Welt loszulassen. Kein Kanal für Zumutung frei. Obwohl Corona ein Meilenstein für sich ist. Wir werden in 20 Jahren davon erzählen können. Und da muss ich immer wieder mal an meine Mutter denken, die zur Zeit Benno Ohnesorgs und dem ganzen Muff unter den Talaren in Berlin lebte und die auf meine Frage, ob sie denn als junge Frau auch protestieren war, nur mal beiläufig angepisst rausgerotzt hat: "Ich hatte n kleines Kind und andere Sorgen. Außerdem hab ich auch gar nicht verstanden, was die wollten. Das war mir viel zu fern." Das ist zirka 20 Jahre her und beschäftigt mich auch immer noch nachhaltig. Ich kann mir für mich nicht vorstellen, derartige Entwicklungen so sehr an mir vorbeirauschen zu lassen. Ich wüsste gar nicht, wie das geht. Glaube ich zumindest. So, worauf wollte ich hinaus? Ich habe andere Sorgen, um mich um Life in a Day 2.0 zu kümmern? Ich hab nen kleines Kind und verstehe nicht, was die wollen? Das ist mir viel zu fern? Nee, mich hat mein Anspruch überfordert. Da war ja Lothar eine echte Offenbarung für mich. Dein Dad hat einfach gemacht. Auch zehn Jahre später immer noch beeindruckend, wie er so schockstarrenfrei und geistesgegenwärtig handeln konnte. Dicker Kuss nach Duisburg!

#83

Liebe Maike,
nachdem ich #81 verfasste, meldete sich meine Schwester bei mir: „Heute vor 10 Jahren Loveparade Duisburg…muss ich an den Film denken…“ schrieb sie und ich weiß genau, dass meine Schwester als Krankenschwester diesen Tag noch mal anders erlebt hat. Schön wiederum, ich mag die Verbundenheit mit meiner Schwester. Wir ticken echt ähnlich und es ist egal, wie oft wir uns sehen oder wie oft wir uns sprechen. Plötzlich sind wir wieder eins.
Du sprichst von „nicht auf die Welt loszulassen“ und ich denke: „Was interessiert mich die Welt?“ Ich bin das ganze Wochenende glücklich mit mir allein, in meinem Tun, in meinem Tempo. 5 Arbeitstage noch. Das ist nun wirklich nicht mehr für lang. Ich freu mich, auch wenn mich der Anflug von dichter Nase gerade beunruhigt. Ist doch wirklich immer die gleiche Scheiße. Anspannung und durchhalten, dann das frei zum Greifen nah, Entspannung und Körper mag alle 4e von sich strecken. Super.

#84

Liebe Melanie,

schon der zweite Tag in Folge, an dem wir uns übers Telefon anbratzen und einer von uns einfach so auflegt. Heute war ich es dann mal. Ich hatte dann auch echt überhaupt keinen Bock, auf Deinen Rückruf zu reagieren und habe klingeln lassen. Da war mir das Einfädeln der neuen Schnürsenkel in meine Schuhe temporär dann mal wichtiger. Ich kann auch nicht sagen, dass ich emotional besonders engagiert gewesen wäre und aus reiner Wut heraus eine Brücke hinter mir abgebrochen hätte, wie das in jungen Jahren (haha!) immer mal wieder der Fall war. Ich hatte nur einfach überhaupt keine Lust, angezickt zu werden. Bei Deinem zweiten Anruf hatte ich die Schnürsenkel dann drin. Ich bin rangegangen, Du hast Dich entschuldigt und ich habe totales Verständnis für Deine Erklärung. Und was soll ich sagen? Das, was an diesem Tag übrig bleibt, ist lediglich die Freude darüber, wieder schick am Fuß zu sein.

Vor Jahren hätte ich meinem jetzigen Ich wahrscheinlich Gleichgültigkeit unterstellt und mangelnde innere Beteiligung vorgeworfen. Dem damaligen Ich kann ich aus heutiger Sicht versichern, dass Drama in den wenigsten Fällen irgendwo hin führt und man es sich ebensogut abgewöhnen kann.

Ich hab sie alle beide lieb, die Ichs - und Dich auch! Komm gut durch die Nacht mit deiner herannahenden vollen Nase. Kuss, Maike

#85

Ach Maike,
ja, zicken kann ich und schön, dass du mich dabei am Ende verstehst und das wo ich doch in einer solchen zickigen Phase ungerecht unterwegs bin. Wenn ich das zukünftig etwas eher raffe, muss du möglicherweise nicht mehr auflegen. Ich nehme das als wichtiges Lernfeld mit. Ich danke dir jedenfalls für dein Verständnis. Ich sprach davon, dass ich Sløborn in der Mediathek geschaut habe und tatsächlich, wie Christoph irgendwann mal postete: „Das war schon irgendwie so ein Dystopie-Fiktion-Real-Trip...“ so ging es mir auch. Sehenswert ohne Zweifel und musikalisch ist das wunderbar gemacht. (Mind – Notiz: Das Christoph spiegeln und dabei krieg ich Schnappatmung, weil mich das dumme Gefühl beschleicht, ich werde in den 4 Wochen Urlaub nicht ansatzweise das erledigen, was ich grad meine erledigen zu müssen. Ma gucken was sich über 4 Wochen von allein erledigt. 😉 Hoffnung on) Wo war ich? Sløborn: Ein Satz ist mir im Gedächtnis hängen geblieben und mag offensichtlich mehrmals gewälzt werden. „Wir sind die Erben unseres früheren ICHs“ oder so ähnlich. Weiter hieß es: „..Wir können das Erbe annehmen..“ auch nur so ähnlich. Was magst Du wohl deinem späteren Ich sagen? Die gleiche Frage gilt auch für mich natürlich und macht mich neugierig. Lass uns unser Erbe einfach nehmen. 
Wir sind gut mit allem was wir so in uns vereinen. 

#86

Liebe Melanie,

ich muss gerade lachen, denn Schnappatmung ist ein so wunderbarer Zustand. Ich hab das manchmal so schlimm, dass ich am liebsten ganz untheatralisch Riechsalz zücken oder danach verlangen würde, um das Japsen einzudämmen. Das spreche ich hier das erste Mal aus, denn hier gehört es hin. Ich_iel ( "Ich im echten Leben" - gerade erst vom Fight um das Jugendwort des Jahres gelernt) habe wohl immer noch Schiss, dass niemand meinen Humor versteht. Schräg. Was ist da wohl in mir vorgefallen, dass ich mir eingeprägt habe, es bringt nur Schmerzen, wenn ich allein lache, also geh ich mal lieber in den Keller damit. Beknackt regelrecht. Wunderbar finde ich Schnappatmung, weil sie mich zur radikalen Neubewertung der Situation zwingt. Instantanes Innehalten - auch ohne Riechsalz möglich - die inneren Fenster zum Lüften weit aufreißen. Dann fliegen im besten Fall die muffigen Vorstellungen und Erwartungen raus und frisch duftige Vorstellungen und Erwartungen füllen den Raum. Ey, Mella, das ist doch mal n Ansatz für ne Kreativitätstechnik: Die Riechsalz-Methode! Sehr geiler Scheiß. OK, wo war ich? Auf jeden Fall nicht häufig genug im Keller. Ich habe nämlich schon sehr häufig in Abwandlungen gehört, dass ich verrückt bin: In verkehrter Richtung auf dem Mittelstreifen unterwegs, naturbreit, mit den falschen/richtigen Medikamenten zugedröhnt, dem Kalauer nicht abgeneigt. Einer sagte ja mal zu mir, dass mich zwei meiner imaginierten Freunde definitiv nicht mochten. Ein anderer ich möge mal aufhören so rumzuspacken. Das war zu einer Zeit, wo wir anfingen mit Knutschen und Fummeln. Autsch. Und das soll ich als Erbe einfach so nehmen? Da krich ich Schnappatmung. Vor Freude, da ich merke, es wäre machbar. Ich will nicht mehr in den Keller zum Lachen. Ich gehöre mindestens in die Beletage (mit meinem furchtbar dicken ... Mantel an - Ha!) Hatten die Misfits schon vor Jahrzehnten erkannt: Wennze weiss watte wills, musse machen, datte hinkomms. In diesem Sinne viel Freude beim Entdecken! Vielleicht sind die Wechseljahre ja einfach die bessere Pubertät. Kuss, Maike

#87

Liebe Maike, 
was heißt mindestens? Du gehörst ins Penthouse ganz oben. Lass uns da einfach ne Etage teilen. Das haben wir uns verdient. Also gerade eben weiß ich sehr wohl, wo ich hin möchte. In den Urlaub! Einmal schlafen noch. Klingt wie ein Kind, was sich auf Weihnachten freut. Also deshalb streich ich mal kurzerhand, das 'vielleicht' für mich: Die Wechseljahre sind einfach die bessere Pubertät. Ich darf mich und meinen Körper wieder neu entdecken, diesmal mit ganz viel Wissen. Das ist schon auch schön… aufregend. Zugegeben auf manch eine Begleiterscheinung kann ich gut verzichten. Neuerdings bin ich so dermaßen aufgequollen und mein Darm entwickelt sich kurz vorm Blutsturz zu einem Mega-Gasballon. So sehr, dass ich den Eindruck habe, mein ganzer Oberkörper verformt sich für einige Tage in einem Ausmaß, das von jetzt auf gleich T-Shirts schlichtweg eingelaufen scheinen. Nicht schön und dann auch wieder doch. Denn dass ich das Neue für mich (be)greifen kann, erleichtert mich auf eine Art und Weise. Es ist beruhigend. Was meint nun eigentlich deine Frauenärztin? Und wieder zurück zum Kind: Wie machen wir denn alles. Wer nimmt was mit? Müssen wir noch was besorgen? Wie ist Rolli eigentlich ausgestattet? Fühle dich geherzt du_iel.

#88

Mella, wir müssen reden. Keine Lust auf Internet und Co gehabt. Wir sind auf der Insel und haben stattdessen Wind und Wellen in den Ohren. Der Langeoog-Effekt. Und es ist wieder mal unglaublich, wie das Universum derzeit drauf ist. Wir sind an der verlassenen Jugendherberge dem für den Umbau zuständigen Menschen in die Arme gelaufen. Es gibt nachwievor Schwierigkeiten. Und abgekauft ist das Gelände von den derzeitigen Eigentümern auch noch nicht wirklich. Wir sind den jetzt total zugewucherten Lebensweg zum Strand gegangen, über den surreal leeren Zeltplatz. Der Weg der Wege, der mich wundersam berauscht. Zum Strand, vom Strand, ganz egal, das Meer hilft klären, der Blick aufs Haus hilft intergrieren. Und dann sitz ich nach dem Sausen und Brausen da draußen hinter der ehemaligen Klönstuuv und mir laufen die Tränen über das Gesicht und im Grunde versteh ich nicht wirklich warum. Zwischen Möwen und Schwalben lass ich mal laufen. Es geht um vertane Zeit und den richtigen Zeitpunkt. Ganz viel um inneres Glück. (Die Stockrosen sind unglaublich schön dieses Jahr.) Wäre ich dort, was würde mir fehlen? Ich kann nicht schlafen, die alten Pläne werden wieder wach, dort Herbergseltern zu sein.

#89

Hey, Maike, deine Worte wecken die Sehnsucht in mir. Da kommt ein Gefühl des Ankommens in mir auf. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich in Heimatgefilden einfach ein Gefühl des Seins gepaart mit ganz viel Geborgenheit spüre. Mit deinen Beschreibungen saß ich einen Moment lang neben dir mit Blick auf die Stockrosen. Ja, das war schön und ja, lass uns reden. Gern. Ich war derweil mal wieder in Duisburg im Fitnessstudio und dachte (wie vor 5 Jahren auch) „fit for langeoog“. In diesem Sinne einen schönen Sonntag noch.

#90

So, noinzich, liebe Melanie, was sagt uns das? Wir sind bald so lange hier auf klugegoeren.de unterwegs wie auf Instagram. Nur mal so als Zeitraumorientierung. Und bei langen Wörtern fällt mir Ordnungswidrigkeitenanzeigen (sic!) ein. Die Dinger, mit denen ich mich in letzter Zeit auseinandersetze. So langsam verlier ich die Scheu vor den Paragraphen und kriege mal wieder die Krise, wie ich immer die Krise kriege, wenn die Welt Regeln aufgestellt hat. Allein schon, weil es wohl sein musste. Und weil dann ab nem gewissen Punkt der Beschäftigung bei mir n historischer Schinken abläuft, wie es dazu kam, dass diese Regeln eingeführt wurden. Diese innere Geschichtengeschichte. Fluch und Segen, ich sags Dir.

Heute morgen war die Sehnsucht nach der Insel sehr groß. Kind schlief noch und ich habe Protokolle der Sitzungen des Bauausschusses gelesen. Die sind echt gut geschrieben! Liest sich wie n Krimi. Im Geschichtengeschichten-Modus war ich quasi live bei der Vereidigung der Bürgermeisterin Heike Horn dabei, live bei der Bedenkenträgerdiskussion um die Sanierungspläne der Jugendherberge. Wieviele Enthaltungen gab es, wer wird es wohl gewesen sein? Dann habe ich begonnen, mir zwanglos ein Bild über die Beteiligten im Internet zu machen. Was posten die so auf Facebook, was haben die für Werte, was zwingt sie letztlich zu einer Haltung, die ich ihnen durch die Protokolle allein unterstellt habe. Ich sage Dir, Segen und Fluch.

Ich weiss noch, als ich mal eine Phase hatte, in der ich genaue Adressen von wage gehaltenen Immobilienanzeigen ermittelt habe. Anhand der Fotos und den Informationen, die dort drin stecken. Was sieht man aus dem Fenster? Wie steht die Sonne? Baumbestand, Dachform, Grundfläche. Nachbarbebauung. Auf GoogleMaps hab ich dann geforscht, bis ich's hatte. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich früher als Kind Matula sein wollte? Ganz schlimm. Aber die wohl wichtigste Spur des heutigen Tages: Ich liebe es einzutauchen. Ich denke gerade daran, dass ich nach 6 Wochen Island im Hotpot in Hveravellir saß und das Gefühl hatte, die Sprache zu begreifen. Mich hat dieses Land so fasziniert, dass ich auch dort eingetaucht war. Und ganz wichtig: Dazu brauche ich ab und zu meine Ruhe. Einen dicken Kuss zur Nacht, Maike

#91

Eintauchen, au ja, liebe Maike, ich freu mich sehr, dass wir uns bald auf den Weg machen, um andere Gefilde zu entdecken. Ich liebe es einzutauchen in andere Gegenden und dabei die Menschen vor Ort zu erleben. Da wird der Supermarktbesuch schnell mal zum Abenteuer, wenn es darum geht, regionale Spezialitäten ausfindig zu machen. Am meisten gefällt mir zurzeit, die Ruhe zu haben in mich zu tauchen. Ganz entspannt, ohne Ablenkung, weil ich unbedingt was arbeiten muss. Ich meine jetzt die Arbeit im Rahmen des Lohnerwerbs. Das Eintauchen in den Urlaub geht schnell. 3. Tag und ich denke für mich: ja, Arbeit ist schön (ich hab wirklich das Glück es sagen zu können, weil ich einer Tätigkeit nachgehe, die mir im Grunde Spaß macht). Du ahnst es jetzt wahrscheinlich schon: das ABER. Also aber Urlaub ist viel schöner und wenn ich drüber nachdenke, was es schöner macht, ist es für mich die Freiheit!

#92

Melanie, wie gut, dass es Dich gibt. Du hast hier die gleiche Scheisse an der Backe, aber den Kopf nicht so sehr in den Sand gesteckt wie ich. Ich bin so unsagbar frustriert und traurig, sprachlos wie verzweifelt, dass das Wohnmobil ab morgen nicht zur Verfügung steht, weil kaputt. Ist das einfach so einen Tag vorher kaputt, Alter. Es sollten freiheitliche Tage werden. Stattdessen sitz ich auf halb gepackten, halb zerfledderten Koffern, alles halb fertig. Die Sachen, die wir heute noch brauchten, brauchen wir morgen immer noch, die können also immer noch nicht eingepackt werden. Ich verbringe nach dem Frühling nun auch den ganzen verfluchten Sommer im immer gleichen, viel zu warmen Wintergarten und die bescheuerten Fliegen summen um mich herum. Ich vermisse das Meer, die Weite und den Wind. Nichts wird fertig, und kein Abenteuer in Sicht. Die ganze beschissene fucking Welt verlangt mir einen faulen Kompromiss nach dem nächsten ab und ich hab es mittlerweile so unfassbar satt, das Glück aufzuschieben. Statt heute dann einfach mal in den Tierpark zu fahren mit der Lütten, oder mit dem Rad die Umgebung abzuchecken, häng ich beknackterweise ein-und auspackend zu Hause rum, ernähre mich von Eventualitäten und warte auf die Nachricht, was denn jetzt mit Urlaub ist oder nicht. Und dann kriegen Micha und ich uns noch in die Haare, weil ihm meine Fresse nicht passt. Und mein Tonfall. Meine ganze unselige Existenz ist ein Klumpen und hängt in Fetzen an mir herunter. Ich suhle mich in meinem Erdloch und find das alles furchtbar abtörnend. Aber Du machst fröhlich weiter und suchst nach Alternativen. Ich weiss nicht, wie Du das machst, aber Danke, Mella. Du rettest uns den Arsch.

#93

Ach Maike, wie geil ist das denn? 

Das hätte ich gestern nicht gedacht.

Also heute die leckerste Leber nach Jimi zu essen bei einem Griechen in, wo sind wir? Ich hab keinen blassen, spielt auch keine Geige. Wir nähern uns dem Me(e)(h)r.

Meine Gassenhauer passen so herrlich zu den mit heute begonnen Sammlungen sprachlicher (geistreicher?) Ergüsse (find ich blöd das Wort aber was anderes kommt mir nicht in den Sinn nach diesem erschöpfenden und befriedigenden Tag):

'Hier ist eine kleine Nuß.' 

'Danke. Hast Du noch eine große Nuss?'

 

„Danke, Mama!

Gern, Schatz.

Danke, Mama!

Gern Schatz. 

Danke, Mama! 

Gern. Wofür denn? 

Eis!!!“

 

Das im Voraus danke sagen merk ich mir ;) gute Nacht und schöne Träume oder - einen hab ich noch -

Gute Nacht John Boy

#94

Jo, das Kind ist herrlich ungeniert. Ich habe mir auch gedacht: Wow, die nächste Gehaltserhöhung wäre ihr sicherer als mir. Tolle Qualität. Da schneid ich mir auch mal ne Scheibe ab. Gleich ne große. 

Siehste, Melanie, da sind wir jetzt auf einem familiären Familiencampingplatz. 
('Mami, kannst Du mir vorlesen?')
 Ich weiss nicht, ich finds ma wieder geil, die ganzen anderen Familien zu beobachten. Besonders die nervigen. Die direkt neben uns gehen gar nicht. Die wirken alle total unentspannt, du sagtest es vorhin. Ich finds auf jeden Fall großartig, dass wir da schön gegenseitig informieren, wie es uns mit denen geht. Lästern ist das ja nicht. Nur geteiltes Leid, oder? Die sind aber auch prätentiös ...  Themenwechsel: Ich hab bisher noch nie einen Campingplatz als Messe betrachtet, sich über Wohnmobile zu informieren. Brilliante Idee! Kompakter gehts ja wohl nicht! Das machen wir morgen, da bin ich dabei. Kaffeepötte an den Start bringen und mal den geschillten Hausmeisterrundgang betrieben. Einfach ma paar Leute zwanglos anquatschen. Das fehlt mir. Jetzt zickern die Grillen und ich geh mal  in die Waagerechte. Kind war heute unvorstellbar zeitig im Bett. Die Nacht wird kurz werden. Schlaf gut da drüben auf Deiner Bank! 

#95

Liebe Maike,

21.53 Uhr und ich bin glücklich über das Erreichen der Waagerechten.(Mist. Mücke drin und flutsch Mücke tot) 

Wo war ich?

Ach ja Waagerechte 

Was fürn Tag, was fürn hoch und runter. Also für meine Begriffe macht sich die Holsteiner Schweiz alle Ehre. Abstriche gibts eindeutig für die mangelnde Infrastruktur in Sachen Grundversorgung zumindest was meine Bedürfnisse angeht. Ich weiß nicht, wie das Einheimische sehen. Egal, schätze, so ganz ohne Planung kommen wir auch im Urlaub nicht aus. Also, wo gehts morgen hin? 

Schlaf schön.

#96

So, Mella, da sind wir also auf Fehmarn gelandet. Meer rauscht, Bäume wehen im stetigen Wind. Da drüben ist Dänemark, schau! Ist schön, einfach nur mal aufs Meer zu sehen. Gestern abend haben wir entdeckt, dass unsere Campingnachbarn ihre Fahnenmasten mit Lichterketten beleuchten. Mal ganz davon ab, dass mir das Konzept von Fahnenmasten allein schon nicht klar ist. Warum kommen Menschen auf die Idee, die Konföderiertenflagge zu hissen? An ihrem Urlaubsort. Tobt bei denen gerade der Krieg? Oder vielleicht Rollenspieler-Rebellen? Ich verstehe noch zu wenig von der Welt.

Sone Fragestellungen blockieren mein Hirn genauso wie diese Unfall-Präventionskampagne mit den Bildern von den Prothesen, weil 'der andere kurz abgelenkt war'. Da steht auch drauf 'weil die andere kurz abgelenkt war', es ist aber ein maskuliner Körper zu sehen. Mich macht das kirre, weil mein Sprachgefühl mir sagt, bei 'die andere' müsste da ne Frau abgebildet sein. Und schwupps war ich mehr als nur kurz abgelenkt, weil ich über gendergerechte Sprache nachdenken muss und darüber, dass nicht zuende Gedachtes bei mir ein schales Gefühl hinterlässt. Ich komme auf jeden Fall immer wieder zu dem Schluss, dass die Kampagne mich persönlich mehr gefährdet als dass sie mir hilft, mich auf den Verkehr zu konzentrieren. Naja, egal.

Wo ich gerade beim schalen Gefühl bin: Ich bin ich etwas ängstlich, wie die Stimmungslage heute wohl so ist. An mir geht Deine Enttäuschung leider nicht spurlos vorbei. Ich wünschte, ich wäre da etwas gleichmütiger.

#97

Bei dieser Brise ist nichts von hohen Temperaturen spürbar. Im Gegenteil ich friere mitunter. Grad sitze ich aufm Stein und du bist mit dem Kind an und auch im Wasser zu Gange. Nach meiner Enttäuschung gestern und dem damit einher gehenden traurig sein und dann wieder zickig sein Gewese und dem immer noch nicht bis ins Detail selbst verstandenen was eigentlich los ist bzw. mein Problem ist es eine sehr angenehme Ruhe die in mir einkehrt. 

Gut so.

#98

Ach, Mensch, da ist wohl heute auch der Wurm drin. Ich habe vorhin auf dem Markt überreagiert. Dass ich abgehauen bin, war nicht richtig. Die Quittung hatte ich dann den Rest des Tages: ein sehr unrund laufendes Kind bis in die späten Abendstunden. Ich weiss nicht, wieso es für mich schwierig ist, Deine aus meinem Empfinden vehement vorgetragene Enttäuschung auszuhalten. Ich frage mich, was für Dich das schwierige ist, meine Entscheidungen auszuhalten.

Das nächste Mal in einer vergleichbaren Situation denke ich, würde ich wahrscheinlich nen Haken an Orth setzen, dem Impuls folgen, das Kind einpacken, den Mann einpacken, Deinen Vorschlag einfach annehmen und Dir einen angenehmen Abend wünschen. Ich hoffe, Du hattest ihn. Schlaf schön.

 

#99

Guten Morgähn, liebe Maike, Ihr schlaft noch und ich frage welcher Tag war noch mal?#98? Egal (das schreib ich gefühlt auch oft) habe ich die Situation noch vor Augen. Seitdem ich deine Zeilen las, denke ich über deine Fragen nach. Ich für meinen Teil glaube, das hat was mit dem Rumgeeier zu tun. Zu viele Möglichkeiten, nen Haufen Kanns und kein Muss. Urlaub eben! Hinzukommt: so unterschiedlich wir alle drei sind, so unterschiedlich sind auch unsere Bedürfnisse. Ich kann grad schwer nen Knoten durch hauen und eine treibende Kraft sein und dabei bin ich auch nicht schnell im Entscheidungsprozess und das wiederum scheint mir eine Gemeinsamkeit zu sein im Urlaub. Pause vom Entscheiden müssen. Blöd. Zum Glück sind wir lernfähig und so freu ich mich auf unseren heutigen Umzug. Drinnen hör ich was. Ihr wacht auf. Juhu, hab Bock auf nen Kaffee. Schönen Start in den Tag.

#100

Bummtä, #100.

Die ersten 100 Tage.

Was ist denn nach 100 Tagen Dein Eindruck, was wir hier betreiben? Bei mir fallen derartige Resümmes auf niederdrückende Art in der letzten Zeit ziemlich spaßbefreit aus. Es erscheint mir vieles eher mühselig als locker. Und das, obwohl ich im Urlaub bin. Was ist das nur? Man kann doch nicht nur Pech haben, oder? Ich bin ziemlich ratlos. Nun bist du weg und ich sitze hier im Home-Office vor dem Wohnwagen und lebe meinen Traum, unterwegs zu sein und in Ruhe arbeiten zu können. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns weniger Ruhe gegönnt haben, als wir nötig gehabt hätten. Was genau hat uns daran gehindert? Ich habe dieses Rumgeeier tatsächlich nicht verstanden. Ich verstehe es auch immer noch nicht. Es ist bedeckt und nieselt ganz leicht auf die Plane. Ein schwacher Windhauch geht ab und zu ums Wohnmobil. Ist es das Wetter, das uns ohne schlechtes Gewissen entspannt auf dem Campingplatz bleiben lässt? Haben wir uns mit dem Kind einfach einen kleineren Aktionsradius angewöhnt, als der, den Du gewohnt bist? Unsere Bewegung findet mehr im Kleinen statt vermute ich. Ich find zwar, dass es hier auf dem neuen Campingplatz total abartig nach Hasenkacke stinkt, aber nichts desto trotz ist es hier am Hang sehr viel entspannter und urlaubiger als drüben auf dem röhrigen, unfreundlichen Platz. Das bereitet der Seele mit Sicherheit sehr viel mehr das Bett, sich fallen zu lassen.

Ich bin innerlich bei Euch und hoffe inständigst, dass ihr die neue, aufreibende Krisensituation gut gemeinsam bewältigt bekommt. Und um Deine fehlende Erholung tut es mir von Herzen leid.

Was ist also nun die Zwischensumme der ersten 100 Einträge? Ich glaube ich wünsche mir nichts sehnlicher, als in diesem Lifestyle durch die Welt zu tingeln. Ich habe bisher noch zu wenig erfahren. Ich fühle mich noch nicht gesättigt genug an Welt. Ich habe im Angesicht von dieser wirklich hässlichen Covid-Erkrankung Angst davor, meine Chancen auf ein Leben nach Maß zu verspielen.