#170

Liebe Melanie,

die Auszeit ist beendet. Es war mehr eine Ausgeschaltet-Sein-Zeit. Der sonst so anliegende Alltag, den habe ich auf später verschoben. Verschieben müssen, denn es stand ja Urlaub auf der Packung. Und als er wieder durfte der Alltag, habe ich ganz entgegen meiner Einschätzung mit Komplettverweigerung reagiert. Die Liste der "Auja-endlich-wieder-und-jetzt-mit-Freude-durchstarten"-Sachen mutierte plötzlich zu einer "unfähig-zu-priorisieren-da-mich-alles-viel-zu-sehr-aufhält"-greatness-in-hell-Gesamt-FUCKERY. Was ist denn immer wieder so schwer daran, sich einfach ranzusetzen und nach und nach alles abzuarbeiten, egal wie lange es dauert? Ich habe es bis heute nicht kapiert. Und die ganze Zeit habe ich mir sehnlichst gewünscht, dieses erhebende Gefühl von "Endlich im eigenen Tempo für die richtigen Dinge arbeiten" wieder zu haben, weil es mich glücklich macht. Die Lütte war ab Montag auch wieder in der Kinderbetreuung und ich hatte mir goldene Zeiten mit mir selbst ausgemalt. Dass ich mich glorreich tollen Inhalten widmen kann. Der Internetseite, der Arbeit für den Stadtelternrat, deinem Wahlkampf, der eigenen inneren Ordung. Tief in mir nach Antworten und Fragen suchen und insgesamt auf die Erde rutschen, mich kompetent in Selbstwirksamkeit erleben.

Stattdessen summ summ summ Gedanken summen herum. Immer schneller, immer wilder, bis ich von dieser unaufhörlichen Rangelei der Einzelschnipsel total erschöpft nur noch Katzen streicheln konnte. Oder mit dem Kindi absurd-komische Unterhaltungen führen. (Mama, was machen denn liebe Geister? - Mhm, ich denke, dass sie vielleicht Menschen helfen. - Oder sie trinken Kaffee! - schlüüüürf) Oder massive Abgrenzungsgespräche mit dem Ehegatten. ("Was denkst Du, zu wieviel Prozent siehst Du meinen Kampf mit meinen Dämonen, wenn wir in Konflikt geraten? Wenn du jetzt etwas anderes als 100% sagen kannst, nimmst Du noch irgendwas persönlich." oder auch "Wieso bist Du eigentlich so garstig zu mir?" - "Weil ich mich von oben herab behandelt fühle und nicht ernst genommen." - "Selbst wenn es so wäre, was Du nur vom eigenen Hörensagen weisst, was rechtfertigt in diesem Szenario Gegengarstigkeit?" oder auch immer wieder schön "Wenn Du Dir so ansiehst, wie ich unausgeglichen an mir selbst leide und vielleicht in meiner Liebebedürftigkeit angriffslustig erscheine, wie groß ist Dein Wunsch, mir dabei zu helfen, meinen Mist bewältigt zu kriegen?" - "Naja, nicht besonders hoch." - "Und wieso bist Du dann empört, wenn ich zu Dir sage, dass Du die Verantwortung für Deinen eigenen Misthaufen trägst und niemand anders?")

 

Ich sage Dir eins: auf Bullshit hab ich immer weniger Bock. Kostbare Lebenszeit. Die Welt täte aus meiner Sicht echt gut daran, den eigenen Bullshit zumindest schon mal zu sehen. Ah, ja, da ist er, der Bullshit. Hallo Bullshit, nice to meet you. Now everyone have a seat. Fancy a drink? No? Just wanted to feel appreciated again? Wanna leave already? OK. See ya. Bye. (Soviel die Theorie, denn meinen eigenen Bullshit - siehe oben - der mir im Wege herumlungerte, den kann ich mit nur ganz viel "Jetzt IST aber Schluss hier"-Faust auf dem Tisch verbannen. Fällt wahrscheinlich in die Kategorie "Die drei häufigsten Selbstsabotagen bei neurodiversen Unternehmer:innen", vielleicht kann man da bei Gelegenheit nochmal .... und wuuuusch ist der Fokus wieder weg. Kein Bock mehr.) Ne Bekannte sagte mal zu mir: Naja, ist doch klar, Du denkst ja auch viel zu intensiv über einzelne Sachen nach. Dass das anstrengend ist, glaube ich Dir sofort. Und was, wenn Du einfach weniger intensiv nachdenkst? Tsss, das ist eine sooo undenkbar undankbare Art zu leben! Pff, ja nee, dann bin das ja nicht mehr ich, glaube ich. Ich genieße es einfach, wenn ich tief in was eintauchen darf.

 

Naja, dies alles lässt mich immer mal wieder bei den ADHS-im-Erwachsenenalter-Instagrammern hängen bleiben. Irgendwie finde ich mich da total wieder. Hyperfokus, leicht ablenkbar, extrem Interesse-getrieben, dranbleiben ist schwer. Innen zappelt alles, außen ist Starre. Geräuschempfindlich. Instabil in der Affektäußerung. Chaotisch. Aber unfähig zum Multitasken.

 

Mann hatte gestern Probetraining im Fitness-Studio. Anscheinend ist er mit seinen körperlichen Veränderungen nicht wirklich einverstanden und ergreift Gegenmaßnahmen. Dann scheint der Leidensdruck hoch zu sein. Vielleicht ist das die einzige Antwort, die wir vorerst zum Thema bekommen werden.

 

Ich drücke Dich aus der Ferne und freue mich auf unser Wiedersehen am Dienstag.

Kuss, Maike

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0